Der Anteil ökologisch wirtschaftenden Milchviehbetriebe wächst stetig. Diese haben managementbedingt oft ein etwas anderes Zuchtziel als konventionell wirtschaftende Betriebe, auch wenn sie ebenfalls mit Holsteins arbeiten. Daher war die Zeit reif für einen Gesamtzuchtwert angepasst an die spezielle Situation ökologisch wirtschaftender Milchviehbetriebe.
Eine Milchleistungssteigerung ist für ökologisch wirtschaftende Betriebe ökonomisch genauso interessant wie für konventionelle Betriebe, da die zusätzlichen Einnahmen durch den höheren Preis für ökologisch erzeugte Milch sogar noch höher ausfallen. Allerdings ist ökologisch erzeugtes Kraftfutter teurer und dessen Einsatz stößt daher eher an ökonomische Grenzen. Bei der dadurch gegebenen niedrigeren Fütterungsintensität und dem niedrigeren Milchleistungsniveau machen Öko-Betriebe oft die Erfahrung, dass sich die genetischen (Zuchtwert-) Leistungsunterschiede nicht vollständig auch in entsprechende phänotypische Leistungsunterschiede umsetzen lassen. Die Gesundheitsmerkmale haben für Öko-Milchviehbetriebe eine hohe Bedeutung, da der Antibiotikaeinsatz stark begrenzt oder nicht erlaubt ist und auch bei der Selektion ein Vorsorgeprinzip angewendet werden muss.
Die Zusammensetzung, d.h. relative Gewichtung der Merkmale im RZÖko, wurde in enger Abstimmung mit der Ökologischen Tierzucht gemeinnützige GmbH (ÖTZ), einer Gründung von Bioland und Demeter, festgelegt. Die Abbildung 1 zeigt die eingehenden Merkmale und deren Gewichtung: Zusammensetzung des ökologisch geprägten Gesamtzuchtwert (RZÖko).
Die Nutzungsdauer hat mit Abstand das höchste Gewicht (RZN 38%) und kommt zusammen mit den direkten Gesundheitsmerkmalen (RZGesund 21%) auf fast 60%. Für die Milchleistungsmerkmale geht nicht der RZM ein, sondern Eiweiß- und Fettmenge (zusammen 27%) sowie die Milchmenge als Einzelmerkmale. Dadurch kann die (fett- und eiweißfreie) Milchmenge negativ gewichten werden (ZW-Milch-kg -6%). Der RZÖko soll sich an der
Wirtschaftlichkeit der Milchproduktion unter ökologischen Bedingungen orientieren. Daher sind die Exterieurmerkmale, analog zum RZ€, nicht im RZÖko enthalten, da sie die Wirtschaftlichkeit nicht direkt beeinflussen. Neu gegenüber RZ€ und RZG ist die Berücksichtigung des BCS mit 5%. Ziel ist die allgemeine Robustheit der Milchkühe zu verbessern. Für Robustheit gibt es (noch) keinen Zuchtwert, aber es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die genetische Veranlagung für eine bessere Körperkondition in positivem Zusammenhang mit der Fähigkeit der Milchkuh steht, z.B. mit management- und umweltbedingten Störungen besser zurecht zu kommen.
Wie für alle Gesamtzuchtwerte kann aus der relativen Gewichtung der Merkmale im RZÖko nicht unmittelbar auf den erzielten Zuchtfortschritt in den Merkmalen geschlossen werden. Einige der eingehenden Merkmale haben positive Korrelationen untereinander, verstärken also den Selektionseffekt untereinander, andere haben negative Korrelationen. Durch die genetischen Korrelationen ergeben sich ggf. auch Selektionsfort- bzw. Rückschritte in Merkmalen, die gar nicht direkt im RZÖko berücksichtigt sind. Außerdem haben die Zuchtwerte je nach Merkmal unterschiedliche Sicherheiten und damit Streuungen. Bei gleicher Gewichtung und Selektionsschärfe wird dadurch in Merkmalen mit höheren Sicherheiten absolut ein höherer Zuchtfortschritt erzielt.
Die bei Selektion nach RZÖko zu erwartenden Zuchtfortschritte in den einzelnen Merkmalen/Komplexen zeigt die Abbildung 2. Sie stellt dar, welcher Fortschritt gegenüber dem Mittel zu erwarten ist, wenn die besten 10% nach RZÖko selektiert werden. Die Auswertung bezieht sich auf die Zuchtwerte der 134.000 in 2022 auf Herdentypisierungsbetrieben typisierten weiblichen Tiere, und bildet damit eine normalverteilte, große und repräsentative Stichprobe für die aktuelle deutsche Holsteinpopulation. Die abgebildeten Selektionsdifferentiale sind weniger absolut zu sehen als vielmehr relativ zueinander. Zur besseren Einordnung sind vergleichend auch die Selektionsdifferentiale für die Selektion nach RZ€ und RZG dargestellt.
Aufgrund der hohen Gewichtung wird erwartungsgemäß für Nutzungsdauer bei Selektion nach RZÖko (grüne Säulen) der höchste Zuchtfortschritt erzielt, dicht gefolgt von den Gesundheitsmerkmalen (RZGesund) und insgesamt deutlich mehr als bei Selektion nach RZ€
oder RZG. Damit wird bei Selektion nach RZÖko fast 85% des maximal überhaupt möglichen Selektionserfolges realisiert (graue Balken: Selektionsdifferential bei 100% Selektion nach diesem Merkmal). Bei diesem Fokus auf Nutzungsdauer und Gesundheit stellt sich die Frage nach dem genetischen Trend für die Milchleistungsmerkmale, zumal die fett- und eiweißfreie Milchmenge im RZÖko negativ gewichtet ist. Die Abbildung 2 zeigt, dass trotzdem im RZM absolut ein fast gleichgroßer Zuchtfortschritt erzielt wird, wie für RZN und RZGesund, aber deutlich weniger als bei Selektion nach RZ€ oder RZG. Insgesamt wird für RZM noch ca. die Hälfte des maximal möglichen Zuchtfortschrittes bei Selektion nach RZÖko realisiert (Vergleich grüne und graue Säule für RZM). In der Abbildung 2 ist wegen der Übersichtlichkeit das Selektionsdifferential für RZM dargestellt, obwohl in den RZÖko nicht der RZM, sondern die Einzelmerkmale eingehen. Die Abbildung 3 zeigt die Selektionsdifferentiale für die Milchleistungsmerkmale.
Trotz der negativen Gewichtung für Milchmenge und damit deutlich anderer Gewichtung innerhalb der Leistungsmerkmale im Vergleich zu RZ€ und RZG, sind die Auswirkungen auf die Zuchtfortschritte in den Einzelmerkmalen relativ gering. Die ökonomisch wichtigen Eiweiß- und Fett-kg werden nur etwas mehr über Inhaltstoffe statt über Milchmenge erzeugt. Eine Erklärung dafür sind die sehr hohen genetischen Korrelationen zwischen den einzelnen Milchleistungsmerkmalen, die einer tatsächlich unabhängigen/anderen Entwicklung in den einzelnen Milchleistungsmerkmalen entgegenwirken.
Die direkte Gewichtung von BCS mit 5% im RZÖko zeigt eine deutliche Wirkung (siehe Abb. 2). Während bei Selektion nach RZ€ und RZG indirekt (BCS ist im RZ€ u. RZG nicht enthalten) eine leichte Verschlechterung im BCS resultiert, stellt sich dies bei Selektion nach RZÖko ganz anders dar. Es gibt nicht nur eine Umkehr zu einem positiven Trend, sondern auch der absolut zu erwartende Zuchtfortschritt im BCS ist durchaus bemerkenswert. Über die Korrelationen zu den anderen Merkmalen ergibt sich auch eine interessante indirekte Auswirkung auf den Trend für Größe. Bei der Selektion nach RZÖko ergibt sich erstmals ein leicht negativer Trend für die Größe, während die Selektion nach RZG einen stetigen indirekten positiven Trend für Größe erzeugt und sich bei Selektion nach RZ€ ein neutraler Trend ergibt. Dabei sind die Körpermerkmale inkl. Größe in keinem der drei Gesamtzuchtwerte direkt enthalten.
Für den erwarteten Fortschritt im Gesamt-Exterieur, welches im RZÖko (und RZ€) nicht direkt enthalten ist, zeigt sich ein ähnliches Bild wie beim RZ€. Insbesondere durch die positiven Korrelationen von Nutzungsdauer und Gesundheit zu einigen Fundament- und Eutermerkmalen ergibt sich ein positiver indirekter Selektionserfolg (siehe Abb. 2). Dieser ist etwa halb so hoch wie beim RZG, in den Exterieurmerkmale mit einer Gewichtung von 15% direkt eingehen. Es muss daher nicht befürchtet werden, dass es für das Gesamtexterieur bei Selektion nach RZÖko keinen Zuchtfortschritt mehr gibt.
Die dargestellten Auswertungen zeigen, dass es deutliche Unterschiede bei der Selektion nach RZÖko im Vergleich zu den anderen beiden Gesamtindizes gibt. Gleichzeitig wird aber das Zuchtziel auch nicht auf den Kopf gestellt. Die statistische Maßzahl für die Übereinstimmung der Rangfolge ist die Korrelation der Zuchtwerte. Diese liegt zwischen RZÖko und RZG/RZ€ bei ca. 0,9. Zum Vergleich ist die Korrelation zwischen RZG und RZ€ mit ca. 0,95 höher. Die Zucht nach RZG oder RZ€ liefert also deutlich ähnlichere Ergebnisse als die Zucht nach RZÖko. Die Ausweisung eines eigenen ökologischen Gesamtzuchtwert ist also sinnvoll und gefährdet nicht das Rassezuchtziel. Für die Zuchtpraxis bedeutet dies, dass es durchaus deutlich unterschiedliche Rangierungen für Einzelbullen nach RZÖko oder RZ€/RZG gibt. So können einzelne Bullen von außerhalb der Top-100 nach RZ€/RZG durchaus für RZÖko in der absoluten Spitze stehen, und umgekehrt. Andererseits stehen aber auch ca. 2/3 der Bullen aus der Top-100 für RZÖko auch in der Top-100 für RZ€/RZG.
Einen RZÖko erhalten alle Tiere, die offizielle Zuchtwerte auf deutscher Basis für die eingehenden Merkmale haben. Da es Gesundheitszuchtwerte bisher nur für Schwarzbunt und Rotbunt gibt, wird für die anderen vit-Schätzrassen (z.B. Angler, DN, DSN) vorläufig noch kein RZÖko ausgewiesen. Veröffentlicht werden für die deutschen KB-Bullen eigene Toplisten nach RZÖko, welche wie bei den anderen Gesamtindizes nach töchtergeprüft, genomisch und innerhalb Rasse eingeteilt sind. Für die Aufnahme in die RZÖko-Toplisten gelten die gleichen Bedingungen wie für die Toplisten nach RZ€/RZG.
Mit dem RZÖko steht den unter ökologischen Bedingungen wirtschaftenden Milchviehbetrieben ein effektives Selektionsmittel zur Verfügung, um das etwas andere Zuchtziel zielgenauer zu erreichen. Die gezielte genetische Verbesserung der Herde ist für ökologisch wirtschaftende Betriebe genauso wichtig, wie für konventionell wirtschaftende Betriebe. Aber auch hier gilt, dass der Gesamtzuchtwert in erster Linie der Vorselektion, der überhaupt in Frage kommenden Bullen, dient. Bei der einzelnen Anpaarung geht es anschließend aber darum, welcher der nach RZÖko vorselektierten hohen Bullen aufgrund seiner Einzelzuchtwerte am besten zur jeweiligen Kuh passt. Außer für die direkte Zielgruppe kann der RZÖko aber auch für andere Betriebe interessant sein, die aus unterschiedlichen Gründen ein Managementregime mit unterdurchschnittlicher Fütterungsintensität und damit niedrigerem absolutem Leistungsniveau fahren.